Homepage, Sweet Homepage!

Kennze schon meine Homepage?“
Deine was?
Is unheimlich geil, mußte ma raufgehn!
Der 12jährige Dreikäsehoch aus der Nachbarschaft hat nun also auch eine. Diese Göre hat damit nun eine eigene Seite im Internet, während ich noch ausschließlich im örtlichen Telefonbuch darbe. Fassungslos nehme ich von ihm die am PC selbstgedruckte Visitenkarte entgegen, auf der seine Web-Adresse steht. Als er die Adresse meiner Website haben will, sage ich: Ach, weißte, die baue ich gerade um. Hat mir nicht so gefallen. Da hat immer der Frame gegen den URL gepingt.
Er klopft sich auf die Schenkel vor Lachen, weil er überzeugt ist, daß ich gerade einen gelungenen Witz gerissen habe. Vorsichtshalber lasse ich ihn in dem Glauben.
Alle Welt hat im Internet eine Website. Kennst du diesen Penner aus der Uhlandstraße?Ach, der mit der animierten Graphik und dem Mail-To-Button? Ins Café Grauzone kommt man ohne Web-Präsenz schon gar nicht mehr rein. In Neumünster haben sie kürzlich eine Homepage wegen Verunglimpfung eines Nachbarn verhaftet. Erst Tage später kam ein PC-loser Beamter auf die Idee, sich mal an den Inhaber der Website zu wenden.
Es half nichts, ich mußte auch eine haben. Aber woher nehmen? Als ich die Kids aus meiner Schule um Hilfe anwinsele, geben sie mir mit tadelndem Blick und spitzen Fingern lediglich eine Diskette in die Hand. Darauf ist SELFHTML gespeichert, ein Kompendium über HTML, die Sprache, in der man Internet-Seiten gestaltet (soviel ich damals jedenfalls wußte). Selbermachen! lautet der einzige Tip, den sie mir unentgeltlich zu geben bereit sind. Diese knappe Ansprache spiegelt wohl das Höchstmaß an Respekt wider, das ein homepageloser Pädagoge von seinen Schülern heute noch erwarten kann. Saubande, das!
Also knie ich mich in die Materie und lerne die Überschrift von SELFHTML auswendig.
Sinnvollerweise sollte ich mit einem weißen Blatt beginnen. Ich suche in den Texten von SELFHTML verzweifelt nach weiß oder white. Ha, da haben wir's schon: BGCOLOR="WHITE" steht da irgendwo. Ich starte NOTEPAD und tippe BGCOLOR="WHITE". Klappt auf Anhieb. Das war ja leicht! Solchermaßen ermutigt, lade ich nun WORD und tippe diesen wichtigen Befehl erneut, weil die Homepage mit WORD natürlich viel professioneller aussehen wird. Wegen der Serienbrieffunktion und so. Oder so.
Die Datei speichere ich allerbester Dinge ab als MEINE AUSGE­FUCHSTE HOMEPAGE.DOC. Generalprobe: Ich starte den Internet-Explorer und lade sie. Aber der Explorer hält sich zurück, statt dessen fährt WORD wieder hoch und lädt die Datei. Ach so, ja, sie muß ja hinten .HTML und nicht .DOC heißen, damit der Explorer sich erbarmt und WORD die Klappe hält. Kein Problem. Einfach umbenennen, fertig: MEINE AUSGEFUCHSTE HOMEPAGE.HTML.
Das Ergebnis ist niederschmetternd: ÐÏࡱá. Aber wenigstens im Browser und nicht mehr in WORD.
Einem frischgebackenen alten HTML-Fuchs wie mir macht man so leicht nichts vor, wäre ja noch schöner! Natürlich hat hier WORD seine Formatierungscodes als Kuckucksei hinterlassen, die auf meinem schönen weißen Blatt jetzt angezeigt werden. Kein Problem, das haben wir gleich. Wie ein alter Hase werde ich es ganz einfach mit Grübeln, später evtl. mit Resignieren versuchen, das wäre doch gelacht! Und so grüble ich für und für, resigniere auch irgendwann fachmännisch. Es läuft also alles nach Plan.
Am nächsten Tag besuche ich die Computer-AG meiner Schule. Schlau, wie ich nun mal bin, betrete ich den Computerraum auf Knien, nachdem ich mir listig ein paar Tränen auf die Wangen geschminkt habe. Ich wedele mit einem größeren Geldschein, lege diverse Gelübde ab und simuliere eine Fehlgeburt.
Unsere Jugend von heute reicht mir mit unverhohlener Verachtung einen schnell gekritzelten Zettel mit einer Web-Adresse, von der ich einen HTML-Editor runterladen kann. Kann ich aber nicht: Die schon erwähnte kleine Rotznase von nebenan lädt ihn für mich runter. Kein Problem - ich muß dafür nur das Auto seines Vaters waschen, wofür er die 5 Mark einstreicht.
Routiniert starte ich den Editor. Die Menüzeile kommt mir bekannt vor, so daß ich auch die einzelnen Dateien von SELFHTML laden kann, die glücklicherweise in der Sprache HTML geschrieben sind. Als eingespieltes Team suchen meine Tastatur und ich nach dem magischen Befehl BGCOLOR="WHITE". Er kommt nicht vor. Statt dessen stehen da intellektuelle Anspielungen wie <HEAD>, Ferkeleien wie <BODY> und kulinarische Verheißungen wie <TABLE>.
Na gut, man ist ja nicht so. Tage und Nächte knie ich mich in diesen Code und kriege schließlich eine Homepage gebacken. Wäre ja auch noch schöner gewesen! Mit gespielter Gelassenheit trage ich sie auf Diskette zu meinem Internet-Provider (damals einem privaten Verein in meiner Stadt), der sie für mich einrichtet. Wir wählen sie vor Ort gleich an, denn gut getestet ist halb – verloren: Bilder und Text durchdringen einander wie ein Kaleidoskop. Aber das ist ja auch unfair – auf diesem Computer ist ein anderes Bildschirmformat eingestellt als das, das ich zu Hause benutze!
Inzwischen bin ich – vollkommen übernächtigt und mit Ringen unter den Augen – immerhin so weit, daß ich dies als Ursache erkenne und mir schon denken kann, was dagegen zu tun ist: <TABLE>s beziehen sich nämlich weniger auf den Magen als vielmehr auf die Abgrenzung gegen andere Bestandteile der Website, so daß der Bildschirmsalat in einer vertretbaren Zeit von ein paar Monaten behoben ist.
Nun ist sie also fertig. Beruhigt stelle ich fest, daß ich endlich zur Gattung des Homo sapiens homepaginam habens gehöre. Vereinzelt grüßt man mich wieder. Gestern morgen waren meine Reifen nicht aufgestochen. Beim Metzger gegenüber werde ich wieder bedient. Nicht immer, aber immer öfter. Schon seit einigen Tagen hat meine Freundin nicht mehr ihre Hand an meiner Gurgel, Guildo hat mich wieder lieb. Ich denke, den Strick nehme ich jetzt vom Fensterkreuz wieder runter.

Arnulf Sopp (http://www.hacktory.dejawoll!)